Pharmazie


Antipyrin, österreichisches

ANTIPYRINUM
 

 

Phenazon wurde 1883 auf Anregung des deutschen Pharmakologen Wilhelm Filehne (1844-1927) durch Emil Fischer's Assistenten Ludwig KNORR (1859-1921) beim Versuch, ein im Vergleich zum fiebersenkenden Chinin nebenwirkungsärmers Chinolinderivat zu finden, erstmals synthetisiert. Es ist somit das älteste synthetische, schwach wirksame Analgetikum und besitzt außer seiner analgetischen auch eine fiebersenkende (antipyretische) Wirkung. Phenazon wurde 1883 von den Farbwerken Hoechst zum Patent angemeldet und anschließend unter dem Markennamen Antipyrin® vermarktet.

 

1893 führte Medizinalrath Dr. Martin OVERLACH (1860-1912), "dirigierender Arzt am fürstlichen Landeskrankenhaus in Greiz i. Thüringen" (Pester Lloyd, 29. Aug. 1894) Antipyrinum coffeino-citricum unter dem Handelsnamen Migränin in die Therapie der Migräne, der Influenza und der Folgezustände nach alkoholischen Exzessen ein, ein mechanisches Gemenge aus 90.9 Teilen Antipyrin, 0.6 Teilen Zitronensäure und Koffein. 

 

Exponat 

In Österreich wurde Jahre später ein Ersatzpräparat hergestellt, das "Antipyrinum Coffeino-citricum" der Fa. "Heilmittelwerke Wien III". Das Produkt wurde 1900 in die "Ergänzungen" zur 7. Aufl. der österreichischen Pharmakopöe aufgenommen (Drogisten-zeitung 20. Apr. 1900 S.189). Kartonschachtel, trapezförmig.

Herkunft: Flohmarkt Völs 8/2018.

 

 

Generica schon 1920

"Verbilligt-Arzneimittel. Zur Verhütung von Mißverständnissen werden die Ärzte und das Publikum aufmerksam gemacht, daß die billigen abgepackten Heilmittel der Oesterreichischen Heilmittelstelle nicht unter der für die verschiedenen Fabriken geschützten Wortmarke (Aspirin, Urotropin, Migränin) abgegeben werden, sondern unter ihrer wissenschaftlichen chemischen Bezeichnung - beispielsweise Aspirin-Acidum acetylosalicylicum, Urotropin-Hexamethylentetramin, Migränin-Antipyrinum coffeino-citricum usw." (Innsbrucker Nachrichten, 2. Nov. 1920).

"(..) Antipyrinum Coffeino-citricum (10 Pastillen à 0.5, 24 Kronen) (..). Durch die Herstellung im großen ist es gelungen, die aufgezählten Mittel in den Apotheken zu Preisen verabfolgen zu lassen, die es auch solchen Kranken, welche aus Eigenem die Heilmittel bezahlen müssen, ermöglichen, diese kaufen zu können. Die gerade in der letzten Zeit immer häufiger auftretende Klage, daß Medikamente nur mehr von den Krankenkassen-mitgliedern, für deren Kosten eben die Krankenkassen auskommen, bezogen werden können, dürfte nunmehr durch die Einrichtung der österreichischen Heilmittelstelle aufhören. Zur Vermeidung von Mißverständnissen ist erforderlich, daß der Arzt bei der Verschreibung den Zusatz „Heilmittelstelle" beifügt, ebenso wie das privat. Publikum der den im Handverkauf erhältlichen Medikamenten stets ausdrücklich Präparate der Heilmittelstelle verlangen möge" (Neues Wiener Journal, 1. Febr. 1921).


 

Zum Hersteller

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestanden in Wien zwei pharmazeutische Herstellungsbetriebe: die 1794 gegründete Militär-Medikamentendirektion und die 1894 geschaffene Medikamenten-Eigenregie der Wiener Fondskrankenanstalten. Diese wurden nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie im Jahr 1919 zur "Heilmittelstelle gemeinwirtschaftliche Anstalt" zusammengeschlossen. Diese Anstalt wesentlich zur notdürftigen sanitären und medikamentösen Versorgung der Bevölkerung der 1. Republik und des Ständestaates bei. 1940 wurde der Betrieb in „Heilmittelwerke Wien“ umbenannt.

Die Heilmittelstelle stellte u.a. typisierte Arzneimittel her und war ein wichtiger Schrittmacher für die Etablierung von Fertigarzneimitteln auf dem österreichischen Markt. Dadurch und durch die Direktversorgung von Krankenhäusern und Krankenkassen wurde sie zu einer existenz-bedrohenden Konkurrenz für die Apotheker. Zudem war geplant, auch das Apothekenwesen sukzessive zu verstaatlichen, wobei der Heilmittelstelle eine zentrale Rolle zugedacht war. Entsprechend heftig wurden die nicht immer legalen wirtschaftlichen Aktivitäten der Heilmittelstelle seitens der Apothekerschaft bekämpft. Die folgenden politischen Veränderungen kamen den Apothekern entgegen. Im Ständestaat wurde das Konzept der Sozialisierung gestoppt und im Dritten Reich wurde die Heilmittelstelle in die Heilmittelwerke Wien G.m.b.H. umgewandelt, welche je zur Hälfte im Besitz der Gemeinde Wien und der Apothekergenossenschaft Herba stand.

Nach dem Zweiten Weltkrieg präsentierten sich die Heilmittelwerke Wien, gleichsam entpolitisiert, in der durch Strukturschwäche gekennzeichneten pharmazeutischen Landschaft Österreichs als wichtiger Partner für Arzt und Apotheker. Bis 1947 befanden sich sämtliche Labors und Produktionsstätten am Rennweg 12. Kriegsschäden und die nötige Expansion zwangen das Unternehmen, einen Teil der Produktion nach Wien-Favoriten auszulagern. Ihre wirtschaftlichen Aktivitäten bestanden im Drogengroßhandel und in der Fabrikation von Verbandstoffen und Arzneispezialitäten, wobei auch eigene Forschungslaboratorien betrieben wurden. Zudem wurden von einer Tochterfirma Heil- und Gewürzpflanzen angebaut. Ab 1969 wurden die Heilmittelwerke sukzessive in die Österreichische Stickstoffwerke AG (ab 1973 Chemie Linz AG), einen staatlichen Chemie- und Pharmakonzern integriert.

An seiner Stellen befand sich Rennweg 12 später eine Shell-Zentrale.