Pharmazie


Liquor SWIETENII

SWIETEN Liquor
 

 

     Das Sublimat wurde im 7. Jh. von dem Alchimisten GEBER dargestellt – Ärzte wie RHAZES oder AVICENNA benutzten es, um Lepra beulen zu verätzen. Im 15. Jh. ätzten die Barbierchirurgen luetische Geschwüre damit. Im 15. Jh. ätzten die Barbierchirurgen luetische Geschwüre damit. In England setzte es Daniel TURNER (1667-1741) innerlich (!) gegen Syphilis ein.

 

Sublimat gegen syphilitische Geschwüre

Am St. Marcus-Hospital in Wien führte seit langen Jahren ein Empiriker ohne ärztliche Ausbildung Speichelflußkuren durch. Aber war dieser auf gewaltsame Weise hervorgerufene Fluß wirklich nötig, um die Erreger der Syphilis aus dem Körper zu treiben? Als der Mann 1754 starb, ersetzte ihn Van SWIETEN (1700-1772) durch einen Arzt, Maximilian LOCHER (gest. 1768), und riet diesem, es mit dem bereits von seinem Lehrer BOERHAAVE in verzweifelten Fällen benutzte Sublimat (HgCl2) zu versuchen – ohne es bis zum Speichelfluss kommen zu lassen. Noch während er an der Dosierung tüftelte, kam von einem andern BOERHAAVE-Schüler aus Rußland die Nachricht, daß man dort mit Erfolg ein Gran Sublimat in 2 Unzen Branntwein löste und trank "Diese Methode war in Russland durch einen gefangenen Wundarzt vom Heere Karl's XII. zuerst bekannt geworden, und hatte sich durch Tradition erhalten. Von jetzt an bediente sich Van SWIETEN der russischen Form, welche sofort seinen Namen (Liquor Swietenii. Spiritus mercurialis) erhielt". Besagter deutscher Wundarzt hatte viele Jahre in Sibirien zugebracht "wo diese Heilmethode allgemein üblich ist" (Allg. Literatur-Zeitung, Jena 1786 Numero 180 S.194). Diesen Namen "Liquor Swietenii" trät die Flüssigkeit zu Unrecht, stammte das Rezept doch von Antonio Nunes Ribeiro SANCHES (1699-1783), einem andern BOERHAAVE-Schüler. Er hatte schon 1742 die orale (!) Therapie der Syphilis mit Quecksilber-Bichlorid eingeführt, die bis zur Einführung von Salvarsan zur Standardtherapie wurde (Frank T. Brechka, Gerard van Swieten and his world, Arch. internat. d'histoire des idées, 36, Den Haag 1979, S.139). Gmelin schrieb in seinen Reiseberichten (S.148), daß das Sublimat seit 1709 in Russland gegen Syphilis inwendig (!) genommen wurde. SANCHEZ wurde nicht müde zu betonen, daß die Sublimatkuren in Russland immer nur in Kombination mit Schwitzbädern durchgeführt wurden, Van SWIETEN diese Komponente sträflich außen vor lasse …

 

Zwei Magistralformeln finden sich in der Preussischen Pharmakopoe:

- das Aqua phagedaenica, aus 24 Gran Sublimat in 16 Unzen Kalkwasser, worin sich Quecksilberoxydniederschlägt,

- der Liquor hydrargyri muriaticum corrosivi, aus 24 Gran Sublimat, ebensoviel Salmiak und 2 Pfund destilliertem             W a s s e r (D.W.H. Busch et al., Encyclopaedisches Wörterbuch der medizinischen Wissenschaften, Berlin 1842 S.479). An diesem Vielmännerbuch hatte als einziger "Luxemburger" der Garnisonsarzt FEST "Regimentsarzt zu Luxemburg" mitgewirkt. 

 

Exponat

In dem van Swieten'schen Liquor (Mixtura Swietenia) ist statt des Wassers verdünnter W e i n g e i s t zu der Mischung von 1 Theil Sublimat auf 2 Theile Salmiak genommen" (Carl Christian Schmidt, Encyclopädie der gesammten Medicin, Bd. V Leipzig 1844 S.316). "Zum äusserlichen und innerlichen Gebrauch" (Johann Carl Wilhelm Walther, Handwörterbuch, Leiptig 1839).

 

Zur Dosierung: "Man fängt mit 2 Quentchen täglich oder einem halben Esslöffel an, giebt dann einen ganzen Eßlöffel und steigt selten höher, wobei man jedesmal die tägliche Dosis auf zwei- oder dreimal theilt und 3 oder 4 Stunden nach dem Essen einnehmen läßt. Man reicht dieses Mittel in Milch, in einer Tasse Ptisane, Sarsaparillenabkochung oder Gummiwasser, und setzt jedesmal einen Löffel Mohnsirup zu, wenn Schmerz im Magen oder in den Gedärmen zugegen ist" (Ph. Ricord, Praktische Abhandlung über die venerischen Krankheiten, Leipzig 1838 S.409).

31cm hohes Glas, Durchmesser 11.3 cm. Verschluß mit einem Korken, darüber ein loses Metallhütchen. Um 1890.

 

Der Liquor blieb über 100 Jahre in Gebrauch (Julie Ann Fenstermaker, Wonders & Marvels, Internet), und das trotz seines widerlichen Geschmackes (Theodor Husemann, Handbuch der Arzneimittellehre: Mit besonderer Rücksichtnahme auf die neuesten Pharmakopöen, Springerverlag 1892 S.404). Während er in seiner Heimat Österreich nach Aussagen das Pharmazie-Historikers Andreas Winkler / Innsbruck seit langem vergessen ist, lebte die Erinnerung in Frankreich auffallend lang: Dorvault, L'Officine ou répertoire général de Pharmacie pratique, Paris 1910 erwähnt ihn S.912.

 


Die Arznei, die Mozart umbrachte?

Schlüsselfigur im hoch dramatischen Szenario um Mozarts Tod ist der aus Holland stammende Diplomat und Schöngeist Gottfried van Swieten (1733-1803), der sich vor allem an der Musik Bachs und Händels delektierte und auch häufig mit Mozart zu tun hatte. Der Baron war wer in Wien. Sein Vater Gerard van SWIETEN (1700-1772), Leibarzt der Kaiserin Maria Theresia, hatte sich auch bei der Bekämpfung der Syphilis einen Namen gemacht: Ihm zu Ehren war eine Quecksilberarznei, mit deren Hilfe damals 4880 Lues-Patienten überlebt haben sollen, „Liquor mercurialis Swietenii“ genannt worden. Dieses Sublimat in Branntwein, so Köppens Basishypothese, sei wohl aus dem väterlichen Nachlass in Gottfrieds Besitz gekommen, und der habe damit vermutlich im Sommer 1791 dem infizierten Mozart ausgeholfen".

Am 3. Dezember führten Dr. Thomas CLOSSET (1754-1813) und Dr. Mathias Edler von SALLABA (1754-1797) einen kopiösen Aderlaß durch (>2 Liter?), Mozart starb am 5. Dez. 1791. Vorausgegangen waren Episoden von Mattigkeit, von Depression, Schreckhaftigkeit, von "minutenlangen halbohnmächtiger Bewußtlosigkeit" (F. Rochlitz). Möglicherweise starb er an Rheumatischem Fieber, das zu einer Anschwellung des Gesichtes geführt hatte. Oder war es Trichinosis - Mozart mochte Schweinefleisch. Zeichen von Vergiftung wurden nicht wirklich gefunden. Neueste Theorie: ein Streptokokkeninfekt mit Halsentzündung und … Nephritis!