Pharmazie


Luminaletten

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     Auf der Suche nach neuen Arzneimitteln gelang 1864 dem deutschen Chemiker Adolf von BAEYER (1835-1917) die Synthese des Malonylharnstoffs (2,4,6-Trihydroxy-pyrimidin). Er nannte die Substanz Barbitursäure, weil die Synthese am Fest der Heiligen Barbara (4. Dezember) glückte, oder - wie sein Schüler Richard Willstätter berichtet - wegen seiner damaligen Liebe zu einem Fräulein Barbara. "Barbiturat" wäre demnach die Kombination von Barbara und Urea (Harnstoff). 

Phenobarbital (ursprünglicher Handelsname: Luminal; Hersteller: Desitin) ist ein 1912 eingeführter Arzneistoff und wird in der Epilepsie-behandlung sowie zur Narkosevor-bereitung eingesetzt. Es war ein vielgenutztes Schlafmittel bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein. Phenobarbital ist ein verkehrsfähiges und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel nach deutschem Betäubungsmittelrecht. Arzneimittel, die bis zu 300 mg Phenobarbital pro Tablette oder Ampulle enthalten, sind allerdings von den Verordnungs-vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes ausgenommen.

Barbitursäurederivate waren für viele Jahrzehnte die Schlafmittel schlechthin, auch wenn die "therapeutische Breite" ziemlich gering war - zwischen der wirksamen und der womöglich tödlichen Dosis liegt keine große Kluft. Auch deshalb gelten diese Schlafmittel inzwischen als "obsolet" und eignen sich bestenfalls zum Selbstmord ...

 

Die Luminaletten

Leider ist aus der Literatur kein Datum zu ersehen, an dem die "Kleine Schwester" von LUMINAL auf den Markt eingeführt wurde, die "LUMINALETTE". Das Schlafmittel mit dem Namen wurde offenbar ab 1925 unter diesem (verniedlichenden) Namen von BAYER-Leverkusen und MERCK-Darmstadt kommerzialisiert:

- Tscherning stellt 1925 fest, daß sich "Luminaletten" auch in der Prophylaxie der Epilepsie zu bewähren scheinen.

- "Neue Arzneimittel, Spezialitäten und Vorschriften: Luminaletten (Merck u. Bayer), enthalten je 0,015 mg Luminal, bei Spasmen der Gefäße u. der glatten Muskulatur", in: Chemisches Zentralblatt 97.Jg, 1926 Band I S. 168-169)

- Franziska Cordes, Ein Beitrag zur Behandlung der klimakterischen Wallungen und Reizerseheinungen. Vf. erzielte gute Erfolge mit Luminal in Form der Luminaletten von 0,015 g bei Behandlung klimakter. Störungen. (Therapie d. Gegenwart 67- 430. Berlin.), zitiert in: Chemisches Zentralblatt 1926, Band II Nr.26 vom 29.12.1926.

- G. Klemperer (Handbuch der Allgemeinen und Speziellen Arzneiverordnungslehre 1929 S.208) kennt das Präparat "Luminaletten zu 1-3 Stück mehrmals täglich als Sedativum in allen Erregungszuständen des cerebralen und autonomen Nervengebietes mit Erfolg angewendet, insbesondere bei Asthma bronchiale, Magenkrampf, Darmspasmen, spastischer Obstipation, Gefäßspasmen, Tenesmen; auch bei Angina pectoris".

- Strümpell (Lehrbuch der speziellen Pathologie und Therapie der inneren Krankheiten, Verlag Vogel 1934 S.837) emfielt bei Epilepsie "dreimal täglich eine bis zwei Luminaletten".

- Gustav von Bergmann (Lehrbuch der Inneren Medizin, Springerverlag 1936 S.802) empfielt bei Schlafstörungen "zuweilen wirken kleine, nachmittags gegebene Beruhigungsmittel, Luminaletten, auch Brom in kleinen Dosen, schlaferzeugend".

 

Warnung

Bei Kindern von Müttern, die während der Schwangerschaft mit Phenobarbital behandelt wurden, sind vermehrt Fehlbildungen von Kopf oder Gesicht (z.B. Lippen- und/oder Gaumenspalten, verminderter Kopfumfang), Fehlbildungen des Herzens und der Blutgefäße, Entwicklungsstörungen von Gehirn und Rückenmark (Neuralrohrdefekte), Fehlbildungen von Finger oder Zehen sowie geringes Geburtsgewicht und verminderte Körperlänge beobachtet worden. Außerdem können bestimmte Entwicklungs- oder geistige Störungen auftreten, wie z.B. verzögerte Sprach- oder Sprechentwicklung oder Störung der sozialen Interaktion, des Gedächtnisses oder der Aufmerksamkeit. - Während der Behandlung mit Luminaletten® kann es zu einem Folsäuremangel kommen, der zusätzlich das Risiko für Fehlbildungen, insbesondere Neuralrohrdefekte, erhöhen kann. Daher sollten man vor und während der Schwangerschaft Folsäure einnehmen. Zusätzlich sollten pränataldiagnostische Maßnahmen zur Früherkennung von Schädigungen (Ultraschall und a-Fetoproteinbestimmung) durchgeführt werden. Bei Neugeborenen, deren Mütter während der Schwangerschaft mit Phenobarbital behandelt wurden, sind vermehrt Vitamin K-abhängige Gerinnungsstörungen beobachtet worden. Die Schwangere sollte deshalb Vitamin K in den letzten vier Wochen der Schwangerschaft einnehmen, und Ihr Kind sollte nach der Geburt Vitamin K erhalten. - Bei Neugeborenen von Müttern, die mit Phenobarbital behandelt werden, können Sedierung (erhöhtes Schlafbedürfnis) und Entzugserscheinungen (Arzneimittel-abhängigkeit) auftreten. Entzugserscheinungen treten insbesondere dann auf, wenn die Säuglinge nicht gestillt werden. Das Neugeborene sollte daher sechs bis sieben Wochen durch einen Kinderarzt überwacht werden. 

 

Exponat

LUMINAL enthält 100 mg Phenobarbital pro Tblette, seine "kleine Schwester", die LUMINALETTE "nur" 15 mg. Das Fläschchen mit dem (verniedlichenden) Namen LUMINALETTEN enthält 30 Tablet Phenobarbital à 15 mg und wird von den Firmen Bayer/Leverkusen und Desitin hergestellt. Erworben 3/2017 auf dem Flohmarkt in Völs.