Pharmazie


Sistomensine

P1060430
 

 

Organotherapie im Allgemeinen

"Wenn im Altertum bei Epilepsie menschliches Schenkelknochenmark oder Hirn von kleinen Kindern verabreicht wurde, wenn bei den verschiedensten Erkrankungen der Organe die entsprechenden Organe von Opfertieren gegessen wurden und so, um nur einige Beispiele anzuführen, bei Kopfschmerzen das Hirn einer Krähe oder Eule, bei Krankheiten der Leber Eselsleber, bei Milzleiden Hundemilz oder zur Erhöhung der Potent die Geschlechtsorgane männlicher Tiere und zur Behebung der Unfruchtbarkeit Geschlechtsteile einer Häsin genossen werden mußten, so ist das eine "Organotherapie", die PARACELSUS durch die Signatur "similis similibus" richtig bezeichnete" (Dozent E. Herrmann, Hormontherapie in der Gynäkologie und Geburtshilfe, Wiener med. Wochenschrift 1923:45, 1994-1999).

 

Organotherapie im Speziellen

   Im Winter 1912/13 regte der aus Pfaffenhofen in Bayern stammende Ludwig SEITZ (1872-1961), seit 1910 Professor an der Universitäts-Frauenklinik Erlangen, zur Untersuchung der Hormone des Corpus luteums an. Die physiologisch-chemischen Arbeiten führte er zusammen mit seinen Assistenten durch, dem aus Speyer stammenden Hermann WINTZ (1887-1947) und dem aus Kalisz in Russland stammenden Leo FINGERHUT (1885-). Als Rohmaterial benutzten sie aus Kuh-Ovarien frisch ausgeschälte Corpora lutea (Die zerkleinerten Organe wurden der aufeinanderfolgenden Extraktion mit Alkohol und Aceton einerseits, Äther und Chloroform andererseits unterworfen. Dann mischten sie den eingedampften Acetonauszug mit den Alkoholauszügen, vereinigten die erhaltene Mischung mit dem Chloroformauszug, ggf. unter Verwendung eines Überschusses von Chloroform, trennten die sich bildenden zwei Schichten und trockneten sie).

 Dabei konnten zwei Fraktionen dargestellt werden, die SEITZ und WINTZ erst in Tier-, Selbst- und klinischen Versuchen testeten und dann 1915 an die Schweizer Fa. Ciba verkauften:

- eine wasserlösliche, die sie Lipamin nannten, nach ihrer Wirkungsweise benannte sie Ciba in AGOMENSIN um (von "ago" bringen).

- eine öl- und chloroformlösliche, die sie Luteolipoid nannten, nach ihrer Wirkungsweise wurde sie von Ciba als SISTOMENSIN bezeichnet (vom lateinischen "sistere" stoppen.

Agomensin verstärkte die Regelblutung, wohingegen Sistomensin blutungshemmende Eigenschaften hatte und imstande war, subcutan vor und während der Menses einverleibt, die Blutung zu vermindern und abzukürzen. In einem späteren Zusatzpatent (N°332165 vom 25.01.1916) gaben SEITZ und WINTZ eine vereinfachte Darstellung der beiden Komponenten aus Ovarien und aus Plazenta an. Die fabrikatorische Herstellung der Produkte übernahm die Gesellschaft für Chemische Industrie in Basel unter dem Namen Agomensin und Sistomensin.

 

Die ersten klinischen Ergebnisse konnte das Team um SEITZ schon im Juli 1914 veröffentlichen (Über die biologische Funktion des Corpus luteum, seine chemischen Bestandteile und deren therapeutische Verwendung bei Unregelmässigkeiten der Menstruation, in: Münch.med.Wochenschr. N°30 vom 28.7.1914, S.1657-1661). 1920 berichtete WINTZ über persönliche Erfahrungen (Arch.f.Gynäkol. Bd.113, S. 457), 1926 publizierte er seine Erfahrungen aus den vergangenen 18 Jahren (zit. Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie 1932 N°91 S.224–237).

 

Die Wirksamkeit des Präparates war von Anfang an umstritten, was aber auch damit zusammenhing, daß es keine einheitlichen Kriterien für die Testung gab. Erst 1928 entwickelten Corner und Allen am Kaninchenendometrium einen Test zur Bestimmung der Progesteron-Aktivität. Die Erfinder glaubten an einen Einfluss auf die Blutgerinnung, an einen Angriffspunkt am Endometrium dachten sie nicht - auch an Kontrazeption verschwendeten sie noch keinen Gedanken.

 

Markteinführung 1918: damit ist SISTOMENSIN das älteste im Handel befindliche wirksame, wenn auch nicht standardisierte und in seiner Wirkung schwankende Präparat mit gestagener Komponente.

 

Lit.:

A. Bethe, G.v. Bergmann, G. Embden, A. Ellinger, Handbuch der Normalen und Pathologischen Physiologie, Berlin Springerverlag 1926, Vierzehnter Band S. 405.

Braun, Walter, Über Ovarialhormone unter besonderer Berücksichtigung von Sistomensin und Agomensin, in: Dtsch.med.Wochenschr. 1926 Nr.40

Süss J, Simmer HH. [Historical retrospective. Lipamin (Agomensin) and Luteolipoid (Sistomensin). Animal experiments and preliminary clinical experiences], in: Geburtshilfe Frauenheilkd. 1987 Mai;47(5):351-6.

Christina Ratmoko, Damit die Chemie stimmt, Chronosverlag 2010.

 

Exponate:

1. Original-Karton (ungeöffnet) 6.7 x 4.9 x 2.8 cm mit Glasflasche (40 Tabletten) (Erworben in Thenezay, Poitou-Charentes).

2. Originalkarton mit Glasflasche 6.7 x 4.9 x 2.6 cm, jünger, da der Preis inzwischen von 6 auf 15 Frs angehoben worden war (rotes Etikett). (Erworben in Beziers, Languedoc-Roussillon).

Beide Behälter der Fa. CIBA wurden vertrieben von den Laboratoires O. Rolland, Lyon, 1 Place Morand. "En 1913, la société suisse CIBA s’associe avec le Docteur Rolland qui exploite quelques spécialités pour créer un laboratoire pharmaceutique sous la raison sociale Ciba et Rolland, situé 1 place Morand. En 1917, ils construisent une usine de production pharmaceutique au boulevard Vivier-Merle. En 1940, l’entreprise est rebaptisée Laboratoires CIBA" (zit. Société d'histoire de la Pharmacie).

"Les laboratoires Ciba sont implantés en France depuis 1910. C’est en 1913 que le docteur Rolland – qui exploitait quelques spécialités en officine – unit sa destinée à Ciba et s’implante en banlieue lyonnaise, à Saint-Fons. C’est ensuite dans Lyon même que les laboratoires furent transférés : place Morand et rue du Lac. » « L’exploitation des premières spécialités : entérovioforme, Coramine, Phytine, assura rapidement une expansion telle qu’il fallut quitter les locaux devenus exigus. En 1930, les laboratoires s’installent boulevard Vivier-Merle. (...) De nouveaux produits voient le jour. C’est le temps des hormones, puis le grand essor de la Privine, du Serpasil. Le personnel atteint rapidement 200 personnes. Des machines de conditionnements font leur apparition. L’usine, à l’étroit, finit par chasser le siège social qui s’exile à Paris. Un second bâtiment de production est construit en 1961, un bâtiment de stockage et de distribution en 1970. » « En 1980, l’usine de Lyon est spécialisée dans la production de formes solides : chaque année, plus d’un milliard et demi de comprimés, gélules, dragées et comprimés pelliculés classiques (...) sortent de l’usine". (Quuelle: Barthélémy DREVON – LA PHARMACIE, in: «LA MEDECINE A LYON. DES ORIGINES A NOS JOURS» (DIR. ALAIN BOUCHET), PARIS : EDITIONS HERVAS, 1987).

Möglicherweise handelt es sich beim Firmengründer um den Apotheker Jules Oscar ROLLAND (*1867 in Saint-Siméon de Bressieux, Ehemann von Olympe-Louise Cogne).