Piperazin war 1890 das erste Medikament, das von der Schering AG auf den Markt gebracht wurde. Die Substanz war entwickelt worden als ein Mittel, das die geistige und sexuelle Leistungskraft steigern sollte - eine Art frühes Viagra. Doch es enttäuschte in seiner Wirkung.
Ab 1867 war der Apotheker Léon MIDY (1847 - 1928) in Paris niedergelassen, im Faubourg St. Honoré. In seinem Labor entdeckte er die harnsteinauflösende Wirkung des Schering'schen Piperazins - und machte die Substanz zu einer Spezialität, zu "seinem" Produkt. Ursprünglich als Verjüngungsmittel gedacht, wurde es von Midy zur Behandlung der Gicht propagiert, die historische Verwendung von Piperazin zur Behandlung der Gicht beruhte auf der Beobachtung, dass es in vitro die Harnsäure aufzulösen vermag. Wesentlich niedriger war jedoch die Wirksamkeit in vivo, also im menschlichen Körper. Ab 1895 produzierte Midy sein Produkt in industriellem Maβstab.
Als Firmensitz gibt das Etikett "67 av. de Wagram" an. In der Tat verlegten die Söhne André und Marcel nach dem Tode des Vaters im Jahre 1928 das Unternehmen aus der r. du Colonel Moll nach der av. de Wagram. André starb 1933, Marcel (1879-1968) führte das Unternehmen daraufhin, zusammen mit seinen Söhnen Robert und Pierre, weiter. Ab 1941 wurde Piperazin als Anthelminthikum eingesetzt - das Molekül lähmt die Muskulatur der Würmer die somit (lebend) aus dem Darm ausgeschieden werden. Unsere Dose kennt diese Indikation gegen Darmwürmer nicht (mehr), da sie durch das Aufkommen moderner Mittel obsolet wurde. Die Dose dürfte demnach entweder vor 1941 in den Handel gekommen sein oder (am ehesten) nach 1960 ...
Zurückbehalten wurden auf unserer Dose nur die Indikationen, bei denen eine Alkalinisierung des Harnes gewünscht war:
- Nierensteine und Nierenkoliken
- Gicht
- als Zusatz zu Urin-Antiseptika
Seit 1991 ist Piperazin aus der menschlichen Materia medica verschwunden. Dennoch taucht der Name sporadisch auf den "Skandalseiten" der Presse auf: "23.03.2007 Arzneimittelsicherheit und Sozialpharmazie Drogen: Missbrauch von historischem Entwurmungsmittel Piperazin in Großbritannien. London - Die britischen Gesundheitsbehörden warnen vor einem alten Anthelminthikum, das in der Humanmedizin längst durch besser verträgliche Mittel ersetzt wurde, sich aber wegen seiner stimulierenden Wirkung bei Drogenabhängigen offenbar großer Beliebtheit erfreut. Es ist jedoch weder legal, noch natürlich und schon gar nicht sicher, wie die Medicines and Healthcare products Regulatory Agency (MHRA) berichtet" (Deutsches Ärzteblatt vom 20.03.2007).
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