Innere Medizin


Macaura - Vibrationsgerät

um 1900 bis 1920 

 

Das Schnurren der Katze heilt Bluthochdruck, Muskel-verspannungen, Arthrose und Rückenschmerzen, bei sich und bei ihrem Herrchen. Es beschleunigt die Heilung von Knochenbrüchen. Niederfrequente Vibrationen haben einen günstigen Effekt auf den Organismus – ein seit der Antike wohl bekanntes Phänomen.

 

Seit den Zeiten der Römer wurde den an "Hysterie" leidenden Patientinnen (Hysterie galt als typisch weibliche Erkrankung) von ihren Ärzten mit manueller Massage des Genitalbereichs zum Orgasmus und damit zur "Beruhigung" verholfen, manchmal assistierte der Ehemann oder eine Hebamme. Auch hysterische Nonnen wurden auf diese Art über das gesamte Mittelalter hinweg therapiert.

 

Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten gewiefte Techniker mechanische Hilfsmittel, um die Behandlung von durchschnittlich 60' auf knappe 10' zu beschleunigen, und (last but not least) die Hände der Ärzte zu schützen:

 

- der erste Vibrator wurde 1878 in der psychiatrischen Klinik Salpêtrière in Paris, in der Abteilung von Prof. Jean-Martin Charcot, von dem Arzt Romain VIGOUROUX (1831-1911), erfunden.

 

- im angelsächsischen Gebiet wurde der Apparat, "Percutor"genannt, 1883 von dem Arzt Joseph Mortimer Granville (1833-1900) neu erfunden und patentiert, der sich allerdings strikt gegen eine Behandlung von hysterischen Frauen wehrte und vorgab, nur verspannte Muskeln bei Männern behandeln zu wollen: Scheinheiligkeit, Naivität oder Angst vor der eigenen Courage?

 

- der in Hartford / Connecticut lebende Iro-Amerikaner Gerald Johann MACAURA (1871-1941), der sich Arzt nannte und dabei die Blutbildung in den Magen verlegte (!), liess am 23. Dezember 1902 in den USA einen "Movement-cure Apparatus" patentieren. 1904 wanderte er nach England aus, wo er seinen Vibrator erneut patentieren liess (Patent 13232): sein "Pulsocon" (engl.), "Pulsoconn" (frz.) - später sprach er vom "Blutzirkulator", mit dem er eine ganze Reihe von Krankheiten günstig beeinflussenen wollte. Über eine Handkurbel wurde eine Zitterbewegung des Gerätekopfes in Gang gesetzt, mit bis zu 2.000 Vibrationen pro Minute. Hersteller war die "British Appliance Manufacturing Co", mit Sitz in Leeds / England, Zeit der Fabrikation.

 

Die Geisseln der Menschheit wie Krebs und Tuberkulose waren damit nicht zu heilen. Dennoch blieb ein weiter Fächer an Indikationen: Blutarmut, Taubheit, Polio, Krämpfe (Handmuskel der Schriftsteller!), Verstopfung, Nervosität, Schlaflosigkeit, Herzleiden, Impotenz, Frauenleiden. Ja, die lieben Frauenleiden! Angesichts der sehr grossen Zahl der diagnostizierten Fälle von "Hysterie" (angeblich litten regional bis zu 25% der Frauen an dieser Krankheit) boomte der Markt dieser Geräte: "Veedee-Vibrator" (1905-1915), "Shelton-Vibrator", "Dr. Johansen's Auto Vibrator", "Vibro-Life" der New Yorker Firma Eureka Vibrator, " Vibrako Blood Circulator" von William Francis Lay. In den 20er Jahren stiegen die Japaner mit einem holzummantelten Gerät "Woody" in den Markt ein …

 

Als der Indikationskatalog ausuferte, prozessierten französische Ärzte gegen Macaura und warfen ihm Kurpfuscherei vor - mit dem Ergebnis, dass Macaura im Mai 1914 in Paris zu 3 Jahren Gefängnis und 600 Fr. Busse und auch mehrere Mitarbeiter zu geringen Strafen verdonnert wurden. Aber auch die Ärzteschaft mischte fleissig in diesem Geschäft mit: manche Mediziner kauften gleich mehrere Vibratoren und eröffneten besondere Behandlungszimmer, in denen mehreren Patientinnen auf einmal "geholfen" werden konnte. In Medizinerkreisen erlebte das Gerät einen letzten Höhepunkt während und kurz nach dem 1. Weltkrieg, als man mit den Vibrationen die Durchblutung von Hauttransplantationen förderte und sie dadurch schneller zum Anwachsen brachte.

 

Der Weg zum "Sex-toy"
Allmählich mutierte der Vibrator zu einem handlichen Ding und zog von der Arztpraxis in die privaten Haushalte um: als die Elektrizität in unsere Städte vordrang, gehörten die Vibratoren, zusammen mit dem Toaster und dem Ventilator, zu den ersten elektrisch betriebenen Geräten in bürgerlichen Haushalten. Von den Ärzten einst empfohlen, um die weibliche Hysterie mit Hilfe therapeutischer Orgasmen, medizinisch "Paroxysmen" genannt, zu beeinflussen, wurden die Vibratoren alsbald von den Hausfrauen für die intime Stimulierung missbraucht (vermutlich mit dem vollen Wissen der Fabrikanten). Getarnt als medizinisches Gerät wurden Vibratoren bis in die 1920er Jahre in Magazinen weiter beworben.

 

Stimmungsumschwung
"Gavroche et le pulsoconn", s/w-Kurzfilm von 1913 von Romeo Bosetti mit Paul Bertho in der Hauptrolle … In Schmuddelfilmen kamen die "Dinger" immer öfter zum Einsatz, sodass anständige Frauen sich schliesslich von ihnen abwandten. So endete in den 20er Jahren des 20, Jahrhunderts die Fabrikation der Macaura-Blutzirkulatoren. Kurios ist die Verwendung als "muscle stimulator" in einem Fitness Center in Nordirland, von dem in den 50er Jahren berichtet wird.

 

In Luxemburg erschien das Gerät im Sommer 1912 im Handel:
"Der Pulsoconn des Doctor's Macaura ist in Luxemburg. Die wunderbarste Erfindung des Jahrhunderts. Heilung von Rheumatismus, Gicht, Ischias, Hexenschuss, Taubheit. Unentgeltliche Versuche. 23 Montereystrasse (nächst dem Paradeplatz). Sonntag nachm. 4 Uhr: Grosser öffentl. Vortrag in Strassen, Café Leysen-Floener, Eintritt frei" (Luxemburger Wort vom Freitag dem 2.8.1912).


An dieser Anzeige fällt auf, dass der Laden nicht mit seinem Namen für die Qualität des Artikels bürgte. Welcher Laden stand auf dieser Adresse? 1885 befand sich hier die Gummiwarenhandlung H. Hoffmann, 1923 die Metzgerei Cerf … Der Handel wurde folglich durch einen Handelsvertreter besorgt, nicht durch ein Geschäft.
"Rheumatische Schmerzen, Gicht, Ischias, Hexenschuss. Teile Interessenten mit, daß ich schon seit Jahren einen technisch sehr vollkommenen „Vibrationsmassageapparat", ähnlich wie Pulsoconn, besitze, den ich gern zur Verfügung meiner Kundschaft halte. Besuche auch auswärts. Jos. Schmit, Masseur, Genisterstraße 13 (Lantergasse)" (Luxemburger Wort vom 3.10.1912).


Nach dem 2. Weltkrieg wurden die Wohnungen entrümpelt, so tauchten die Vibratoren auf dem Trödelmarkt auf: "Pulsocomi Macaura 500 Fr. zu verkaufen. – Erfragen Nr. 4318" (Luxemburger Wort vom 19.2.1946).

 

Exponat

Das vorliegende Gerät wurde im September 2012 aus dem schottischen Johnstone / Renfrewshire importiert.

 

Lit.:

Ian Blomeley, Good Vibrations, The Macaura Blood Circulator, in: Social History Curators Group News, 27, 1991 p. 9-10.

Ian Blomeley, Good Vibrations, The Macaura Blood Circulator, in: Social History Curators Group News, 27, 1991 p. 9-10.

Rachel P. Maines, The Technology of Orgasm. "Hysteria", the Vibrator and Women's Sexual Satisfaction, Baltimore 1999.