Innere Medizin


Karbol-Flasche

Vierkantflasche 

Die Erfindung des Karbols war im Rahmen eines Umweltskandals erfolgt, in Berlin, in der Fabrik des Kerzenfabrikanten RUNGE - einem Unikum mit langer, ungepflegten Mähne, der seinen Wein selber herstellte und zwischen leeren Flaschen hauste. Er verwendete in seiner Fabrik Salmiak, das er aus einem Gaswerk bezog. Am Boden der Fässer, in denen man ihm das Sauzeug anlieferte - ein klebriger teerähnlicher Stoff, den die Arbeiter in einen Graben entleerten. Den Behörden stank die Brühe zum Himmel, hier wuchs nichts mehr, alle Insekten starben ab, sodass man RUNGE aufforderte, die Brühe zu entsorgen. RUNGE stellte Versuche an mit verschiedenen Zusatzstoffen (Alkohol, Aether, Schwefelsäure, Kalk) ... Schliesslich gelang ihm die Umwandlung des Teeres wenn er ihn in heissem Wasserdampf distillierte: er erhielt eine wässrige milchige, und eine zweite ölige Lösung, die nach Bibergeil roch - er nannte diese Lösung "Kohlenöl-Säure" - eine Lösung mit eigenartigen Eigenschaften: sie verzögerte das Verfaulen von Fleisch, von Fischen. Verrückt wie RUNGE war, betupfte er damit einen schmerzenden Zahn - und siehe da, die "Faulung" auch dieses Zahnes wurde gestoppt, allerdings wurde das Zahnfleisch mächtig angegriffen. Das Karbol war geboren ...

Karbol wurde ab 1843 Phenol genannt und sollte das wirksamste Desinfektionsmittel des 19. Jahrhunderts werden.

Joseph LISTER (1827–1912) besorgte sich das Phenol, und besprühte sein Operationsfeld - ab 1867, er besprühte die Hände der Operateure, die Instrumente, die Operationswunde und die umgebende Luft. Und siehe da, die Sterblichkeit nach Amputationen sank dramatisch. In Deutschland waren es der Chirurg Carl TIERSCH (1822-1895) in Leipzig und der Urologe James ISRAEL (1848-1926) in Berlin, die Listers aseptisches Prinzip einführten.

Phenol war eine aggressive Chemikalie - LISTER ruinierte die Haut der Chirurgen und der Operierten. Umgekehrt halb ebendiese Hautverätzung andern Patienten: Pigmentnaevi betupfte man solange mit der Chemikalie, bis die Haut weg war. Auch die Behandlung des Ulcus molle begann mit der Umwandlung des spezifischen Schankers in ein gewöhnliches Geschwür indem man den Schanker mit Acid. carbol. liquef. betupfte. Bei der Kopfschuppenflechte (Psoriasis) rieb man eine 0,5%ige PhenolSalbe ein. Ja, Phenol ist ein starkes Zellgift. Es wirkt auf der Haut stark ätzend und wird leicht resorbiert - daher die zahlreichen Vergiftungserscheinungen:
- Akute Einnahme oder Einatmen der Dämpfe in grosser Menge führen zur Atemlähmumg bis hin zum Herzstillstand.
- Chronische Vergiftungen führen zu Nierenschädigungen

In der luxemburger Tagespresse wurde folgende hochkarätige Warnung abgedruckt:
"Luxemburg, 30. August. Zur Warnung erläßt der berühmte Arzt, Hofrath Dr. Billroth in Wien folgendes Schreiben : Es sind mir innerhalb der letzten Monate vier Fälle vorgekommen, in welchen Finger mit ganz unbedeutenden Verletzungen durch die unsinnige Anwendung von Carbolsäure brandig geworden sind; in allen vier Fällen handelte es sich um Kinder, deren Eltern die Verordnung eines Carbolverbandes selbst gemacht haben, weil die Carbolsäure gut für die Wundheilung sein soll. Die Carbolsäure hat schon jetzt in der Chirurgie eine weit beschränktere Anwendung als früher ; wir haben die Gefahren, welche dieselbe herbeiführen kann erst nach und nach kennen gelernt. Das Mittel kann nicht nur Entzündungen und Brand erzeugen, sondern auch durch Blutvergiftung tödten. Es entfaltet seine guten Eigenschaften nur in der Hand des kundigen Arztes. Ich widerrathe hiermit auf das Dringendste, ohne Anordnung eines Arztes Carbolsäure anzuwenden. Als das beste Umschlagmittel bei frischen Verletzungen rathe ich das in Apotheken käufliche Bleiwaser an" (Luxemburger Wort vom 30.8.1889).

Tödlicher Unfall
"Hoscheid, 2. Sept. Ein höchst bedauerlicher Unfall durch Unvorsichtigkeit ereignete sich allhier gestern Abend. Der 45jährige Fuhrknecht Meisch von der Kehrmühle trat in die Behausung des Ackerers M., allwo ihm wie gewohnlich von der Tochter des Hauses ein Schnäpschen angeboten werden sollte ; doch dem Unglücklichen wurde anstatt Branntwein unvorsichtigerweise Karbol ausgeschenkt, den derselbe auch in einem Zuge zu sich nahm. Der arme Mann ist heute morgen unter schrecklichen Qualen gestorben" (L.W. vom 5.9.1900).

Das penetrant riechende, beizende Karbol verlieh vielen Kliniken und Arztpraxen ihren typischen Geruch. Nicht von ungefähr nannte man Arzthelferinnen und Krankenschwestern "Karbolmäuse". Karbolmaus/-mäuschen« für »Krankenschwester« ist laut Heinz Küpper (Wörterbuch der deutschen Umgangssprache) im späten 19. Jahrhundert im soldatischen und studentischen Milieu entstanden ...


Vorgestellt wird eine 16,5 x 7,3 cm grosse, braune Vierkantflasche, erstanden am 15.8.2012 auf einem Strassenmarkt in Remich.