Innere Medizin


Flugmedizin, Erinnerung an Prof. Nathan Zuntz

 

Am 17.4.1920 vermeldete das "Escher Tageblatt" auf seiner Titelseite den am 22.3. erfolgten Tod des Physiologen Nathan ZUNTZ:
"Der Altmeister der Physiologie, Geheimer Regierungsrat Prof. Dr. N. Zuntz ist im 72. Lebensjahre gestorben. Ein ungewöhnlich reiches Gelehrtenleben hat damit seinen Abschluss gefunden. Weltberühmt sind seine Untersuchungen über das Blut und die Blutgase, sowie seine Studien über Atmung, Stoffwechsel und Muskeltatigkeit geworden. Diese bedeutungsvollen Forschungen haben völlig neue Einblicke in die normalen und krankhaften Vorgängebeim Kraft- und Stoffwechselverbrauch des Menschen gewährt. Im engsten Zusammenhang damit stehen seine Experimente, von denen der berühmte Versuch an hungernden Menschen, der Ausgangspunkt grundlegender Erkenntnisse geworden ist".
Sogar ein Portraitfoto gehörte zu diesem Artikel ...

Nathan Zuntz (1847-1920) kam 1847 in einer jüdischen Familie in Bonn zur Welt. Mit 21 Jahren promovierte er 1868 in seiner Geburtsstadt "summa cum laude" zum Doktor der Medizin. 1871 Privatdozent, 1872 Honorardozent. Mit 34 Jahren wurde er 1881 als ordentlicher Professor an die Königlich Landwirtschaftliche Hochschule Berlin berufen. 1889 erfand er das Laufband, am Jüdischen Krankenhaus Berlin richtete er ein "Pneumatisches Kabinett" ein, mit dem Bronchitis und Asthma behandelt wurden. 1906 ernannte ihn Wilhelm II zum Rektor der Landwirtschaftlichen Hochschule und schmückte ihn für herausragende Forscher- und Lehrtätigkeit mit dem Titel "Geheimer Regierungsrat". 1916 kam noch das Eiserne Kreuz Zweiter Klasse dazu. Der Weg auf einen Lehrstuhl an der Universität aber blieb Zuntz zeitlebens versperrt. "Er nahm es als Schicksal hin, daß der Antisemitismus sich seinen Wünschen entgegenstemmte" schrieb seine Tochter Julie über den Vater.
Von 1881-1919 war er Professor für Tierphysiologie an der Königlichen Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin. Hier entwickelte er bahnbrechende Untersuchungsmethoden auf dem Gebiet der Arbeits-, Leistungs- und Höhenmedizin. Zuntz konvertierte zum protestantischen Glauben. Dennoch blieb ihm der Zugang zur Universität in dem antisemitischen Berlin versperrt ... Seine Untersuchungen zur Belastung deutscher Soldaten auf Märschen oder zur "Volksernährung in der Kriegszeit" wurden zur Pflichtlektüre im Ersten Weltkrieg ...
Vor allem aber ging er ab 1902 der Frage nach, wie sich Aufenthalte in grosser Höhe auf den menschlichen Organismus auswirken. 1902 unternahm er mehrere Ballonfahrten in 5000 m Höhe. Bei Wanderungen, die er zusammen mit seinen Studenten ins Gebirge unternahm - insbesondere auf das Brienzer Rothorn, ging er an das Limit seiner eigenen Leistung, drohte mehrfach im Hochgebirge an Herzversagen umzukommen. Mit seiner "transportablen trocknen Gasuhr" auf dem Buckel, erklomm er die Berge und mass die bei Hypoxämie auftretenden Veränderungen im Stoffwechsel. 1906 erschien sein "Höhenklima und Bergwanderungen in ihrer Wirkung auf den Menschen. Ergebnisse experimenteller Forschungen im Hochgebirge und Laboratorium". Wegen dieser (und über 400 weiteren!) Untersuchungen gilt er als Altvater der Flugmedizin. Seine Abhandlung „Zur Physiologie und Hygiene der Luftfahrt“ von 1912 sorgte dafür, dass sich Luftfahrtmedizin und -physiologie als eigenständiger Forschungszweig der Medizin etablierten.

Am 28. November 1909 wurde in einem Café der "Place d"Armes" in Luxemburg der „Aéroclub de Luxembourg“ gegründet.

Im Oktober 1913 fand ein Flugfest in den Merler Wiesen statt.
"Differdingen. 28. Okt. – A e r o p l a n e. Ein eigenartiger seltener Genuß bot sich gestern nachmittag den Reisenden des Zuges Luxemburg-Longwy. der 4.40 Uhr in Luxemburg abgeht Nachdem der Zug die Station Dippach verlassen, gewahrten die Reisenden plötzlich, durch fernes Motorgeknatter aufmerksam gemacht. Zwei Aeroplane in der Richtung von Luxemburg kommend. Es waren die zwei Flieger Emil V é d r i n e s und P a r m e l i n , welche vom Flugfeld in Luxemburg die Rückreise nach Frankreich durch die Lüfte angetreten hatten, in mäßiger Höhe, einige Hundert Meter von einander entfernt, begleiteten sie den Zug" (E.T. vom 28.10.1913).
... Védrines (1886-1914), der im Januar 1914 in Kairo und Jerusalem begeistert empfangen wurde und im April 1914 tödlich abstürzte, Agénor Parmelin (1884-1917), der am 11.2.1914 das Mont Blanc-Massif in 5.540 m Höhe überflog und drei Jahre später bei einem Testflug ums Leben kam - noch begleiteten sie wie ausgelassene Kinder den Zug bei Dippach - ein Bild wie wir es sonst eher von Delphinen kennen, wenn sie die Touristenboote begleiten
- womit wir wieder beim Ausgangspunkt unseres Ausfluges wären, dem Physiologen Zuntz und den Höhenflügen. Sicher hatte Parmelin dessen Publikation gelesen, bevor er zu seinem Flug über die Alpen startete: ein Baro-Altimeter um den Hals, eine Schutzbrille, zwei übereinander gezogene Schutzanzüge aus Leder mit einem Futter aus Wollstoff - um nicht zu erfrieren, eine Sauerstoffflasche im Cockpit - für alle Fälle: Flugmedizin in den Kinderschuhen ...

Ein glamouröses Flugfest fand in Mondorf vom 3.-12. Juni 1910 statt, ein weiteres vom 8.-15. Oktober 1911 in den Merler Wiesen, wo auch am 27./28. Oktober 1913 geflogen wurde. Spätere Flugfeste wurden im Alzettethal zwischen Steinsel und Walferdingen (24.6.1928) organisiert, in Strassen/Bartringen (13.9.1931), am Cents (1930/1931) und in Hesperingen/Alzingen (4.10.1936) - immer auf angemieteten Wiesen. In Esch wurde am 26.9.1937 das erste dauerhafte Flugfeld des Landes eingeweiht - es wurde später Treffpunkt der Sportflieger Luxemburgs und wurde Anfang der 50er Jahre ein Opfer der Grundstücksspekulation. Das Abgeordnetenhaus votierte 1937 (Gesetz vom 19.3.1937) den Bau eines internationalen Flugfeldes am Ort genannt "um Findel" - die Nivellierungsarbeiten begannen, im Frühjahr 1940 einigte man sich darauf, sie als Arbeitsbeschaffungsmassnahme über das Notprogramm zu finanzieren. Das ambitiöse Projekt, das Luxemburg aus der Isolierung reissen sollte, wurde durch den Krieg unterbrochen, ja, man versuchte sogar, das Werk rückgängig zu machen: in aller Eile warfen die Arbeiter Gräben aus, um die Piste für die anrückenden deutschen Truppen unbrauchbar zu machen. Die deutschen Besatzer füllten die Gräben kurzerhand auf und nutzen das Gelände ab dem 12.5.1940 (E.T. vom 20.7.1946), um Bomber nach Malmedy an die Front zu schicken. Im Herbst 1944 legten die Amerikanern ein neues Rollfeld an - hier landete am 14.4.1945 die Grossherzogin , ein Rollfeld, das ab dem 24.4.1946 von der zivilen Luftfahrt (Sabena) genutzt und am 21.7.1947 offiziell eingeweiht wurde.

Die Familien Linden und Ludig stellten auf dem Cents ein Feld (im virt. Schnittpunkt von bd. Simonis und r. Follereau) zur Verfügung, auf dem der Aéroclub um 1930 einen Schuppen aufstellte. Auf den benachbarten Wiesen fanden Flugfeste statt am 24.8.1930, am 1.10.1931. Von dem letztgenannten Fest folgende Anekdote:
"Als vor einigen Jahren das Flugfest auf dem «Cents» stattfand, bestieg sie (Frau Cathérine Schandel Thibeau, 1829-1933) einen Aeroplan und ließ sich in die Lüfte tragen, dabei erklärend: «Jetzt könnt Ihr mich ja in den Himmel führen». Der Himmel, das ist ein illusionistischer Begriff, und sie wusste das selbst am besten. Sie liebte bis an ihr Ende lustige Scherze und war deshalb bei Jung und Alt ganz beliebt" (E.T. vom 7.10.1933).

... eine 92jährige in die Lüfte zu heben, war 1931 in der Tat ein echtes "Himmelfahrts-kommando"! Wussten Sie, dass bei Flügen von Ost nach West der Insulinbedarf steigt, während er bei Flügen von West nach Ost sinkt? Achtung vor Gasen im Darm - im Unterdruck der Flugkabine dehnen sie sich aus und können frische OP-Narben zum Platzen bringen: Vorsicht also nach rezenten Bauchoperationen! Ansonsten hat uns die Erfahrung gelehrt: wer Treppen steigen kann, der kann auch fliegen - zumindest in modernen Flugzeugen, in denen der Innendruck einem Aufenthalt in einer Höhe von 2000 m entspricht!
Auf der Ansichtskarte von 1931: die Flugapparate in Reih und Glied auf L.-Cents,