HNO


Tonsillotom n. MATHIEU (1)

um 1900

 

 

Die Entfernung der Mandeln gehörte schon um die Jahrhundertwende zu den Standardeingriffen der Chirurgie. Da die Möglichkeiten der Anaesthesie noch sehr begrenzt waren, musste der Eingriff möglichst schnell erfolgen. So erklärt sich die Entwicklung komplexer Geräte, bei denen die Entfernung der entzündeten und geschwollenen Mandel blitzschnell in einem einzigen Arbeitsgang erfolgen konnte.

 

Dass dennoch gar mancher versuchte, sich an der Operation vorbeizumogeln, beweist der Fall des Komponisten Georges Bizet (1838-1875). Sein früher Tod war nach Auffassung seriöser Biografen die Folge einer Angina tonsillaris mit Endo-Myokarditis. Einen tragischen Akzent erhält der „Fall Bizet" dadurch, daß der an rezidivierenden Anginen leidende Komponist sich aus panischer Angst vor einer Operation nicht zu einer Tonsillektomie hat durchringen können, obwohl ihm die behandelnden Ärzte dies immer wieder dringend geraten hatten. Eine Tonsillektomie, die zwar in der damaligen Zeit wegen unzureichender Operationstechniken mit häufigen Blutungskomplikationen nicht ungefährlich war, hätte Bizet mit Sicherheit vor diesem Ausgang der primären Erkrankung bewahren können (zit. Dr. Dieter Leithäuser, Warburg).

 

Schon Samuel D. GROSS und Wilhelm FAHNESTOCK, beide aus Philadelphia, hatten um 1828 guillotineartige Tonsillotome angegeben, die in der Folgezeit eifrig weiterentwickelt wurden.

"Die Tonsillotomie (Gaumenmandelkappung) war in der Praxis unserer Väter und Großväter bis etwa zum Ende des zweiten Weltkrieges eine gängige Operationsmethode. Indikation war die exzessive Mandelhyperplasie mit Atmung- oder Schluckproblemen. Als Instrumentarium wurde die Guillotine nach Guersant-Fahnestock verbreitet angewendet. Noch in der dritten Auflage der „Operationen an Nase, Mund und Hals“ von A. Seiffert, erschienen 1947, ist diese Technik der Tonsillotomie beschrieben und das Instrument abgebildet. Ein zweites Verfahren, das nach Sluder, hielt sich länger, wohl weil das Ergebnis im Idealfall einer klassischen Tonsillektomie (TE) nahekommen konnte. Ich erinnere mich, daß Professor Mittermaier, Ordinarius in Marburg bis 1956 und danach in Frankfurt a.M., dieses Verfahren noch gerne angewendet hat. Denecke hat es im Operations-Handbuch „Die Oto-rhinolaryngologischen Operationen im Mund und Halsbereich“ noch 1980 beschrieben.
Warum geriet die chirurgische Tonsillotomie (TO) ins Verdikt? Infolge der intratonsillären Vernarbung befürchtete man eine Obliteration von Tonsillenkrypten mit nachfolgender Sekretstauung und Neigung zu intra- und paratonsillärer Abszeßbildung. Hinzu kam – und darauf wird heute kaum noch eingegangen – die Furcht vor der Entstehung eines tonsillären Focus, war doch die Herdlehre damals allgemein anerkannt (Literatur bei Falk und Maurer 1963). So haben wir Alle nur die extrakapsuläre TE gelernt. Etwa seit zehn Jahren gibt es aber wieder Versuche, die TO neu zu beleben. Im Internet fand ich 28 Publikationen zum Thema, u.a. aus Schweden, England und den U.S.A. In Deutschland hat sich Scherer mit seinem Berliner Team zum Vorreiter gemacht" (Prof.Dr. Horst Ganz, Marburg. 2005).

 

 

Exponat

Zu den raffiniertesten Operationsinstrumenten der Jahrhundertwende gehörte das Tonsillotom des Pariser Fabrikanten MATHIEU, das die Fixierung, das Hocheben und die Excision der Mandeln in einem einzigen Handgriff vereinte. Anschaffungspreis 1910: 15,5 Mark.

Das hier gezeigte "Amygdalotom" nach MATHIEU wurde in 4 verschiedenen Grössen geliefert, hier die Grösse 3. Im September 2018 konnte ich die N°2 und 4 auf einem Trödelmarkt in München / Olympiapark dazufinden.

Die Tonsillotome nach BAGINSKY, BAGINSKY-ROSENSTEIN, LAVOYENNE und MACKENZIE arbeiteten nach dem gleichen Prinzip, waren aber z.T. robuster, indem der empfindliche Schneidring durch einen scharfen Schieber ersetzt war.


© 2008 Dr. André Kugener