Gynäkologie


Scheidenspecula (02)

Recamier, um 1900 

Schon der Inder SUSRUTA beschrieb im 6. Jahrhundert v.u.Z. Ulcera der Zervix, die er erfolgreich behandelte. Folglich hatte er sie gesehen, besass also ein Speculum, vermutlich einen umfunktionierten Darmspiegel.
Die Römer kannten mehrere Arten von Specula - die Ausgrabungen von Pompei haben wahre Wunderwerke der Technik ans Licht gebracht. Auch wenn die antiken Autoren wie CELSUS, RUFUS von Ephesus, GALEN und ORIBASOS die Specula mit keinem Wort erwähnten, so besteht kein Zweifel daran, dass sie dieses Instrument alle kannten ... und benutzten.
1587 schrieb Ludovicus MERCATUS in seinem Werk "De mulieribus affectionibus" im Buch 4 S.315 von "hämorrhoiden der Gebärmutter" und meinte damit Kondylome - folglich besass auch er ein Speculum, mit dem er die Zervix einsehen konnte.
DIONIS (1707), SCULTETUS (1712), GARENGEOT (1727) und Jean Louis PETIT (1774) beschrieben Specula in ihren Schriften. Ohne diese durchaus funktionstüchtigen Specula zu beachten "erfand" Joseph-Claude Anthelme RECAMIER (1774-1852) am Pariser Hotel-Dieu 1801 ein Speculum eigener Bauart um ein - vermutlich krebsartiges - Geschwür am Muttermund einer Patientin zu kauterisieren. Er sprach davon im "Dictionnaire des Sciences médicales" Vol. III S. 537, 1812). 1818 wurde das Instrument in aller Öffentlichkeit vorgestellt, wobei die Ärzte DUPUYTREN, CHAUSSIER, DESORMEAUX, HUSSON, CAYOL, FIZEAUX und DROGUET zugegen waren (zit. James Vincent Ricci, The development of gynaecological surgery and instruments, York 1990).
Um die Zervix einzustellen und dort (zumeist ätzende) Medikamente auf die syphilitischen und kanzerösen Ulzerationen applizieren zu können, benutzte RECAMIER einen Zylinder aus Holz oder Zinn. Nicht bekannt ist, warum er ausgerechnet auf das antike röhrenförmige Spekulum zurückgriff, wie es schon die Griechen, die Hebräer und Arabern gekannt hatten, bevor sie zwei, drei- und vierblättrige Specula benutzten. Erstaunlich bleibt daher die Tatsache, dass RECAMIER seinerzeit als genialer Erfinder gefeiert wurde ...

 

Ausleuchtung
Anfangs wurde das Metall der Spekula blankpoliert um das Licht weiterzuleiten, Röhrenspecula aus Milchglas liessen das Licht seitlich einfallen, verspiegelte Specula leiteten das spärliche Licht weiter... Allmählich nahm das Rohr eine konische Form an, um den Zugang und die Helligkeit zu vergrôssern. Ja, die Beleuchtung! Théophile GALLARD (1828-1887) (Leçons cliniques sur les maladies des femmes) stellte 1873 eine Lampe hinter sich auf, andere benutzten einen Stirnspiegel, der das Licht einer vor dem Arzt aufgestellten Lampe resp. Kerze reflektierte ... Seit der Erfindung des Kolposkopes durch Hans HINSELMANN (1884-1959) im Jahr 1925 benutzen die Frauenärzte das Kolposkop, um die Szene zu erhellen ...



Griff
Auf den Chirurgen Guillaume DUPUYTREN (1777-1835) geht der kleine Griff zurück, mit dem das Spekulum bewegt werden kann. Manche Geräte hatten einen Griff aus Holz, um das Instrument in die gewünschte Position zu bringen, andere einen Griff aus Metall. Es versteht sich von selber, dass mit Anbruch der antibakteriellen Ära um 1900 die Spekula nur noch aus sterilisierbarem Metall, ausnahmsweise auch mal aus Glas hergestellt wurden - jedoch nie mehr aus Holz ...

 

Akzeptanz
Frauen hatten von Anbeginn an eine Abscheu gegen das Spekulum: es war kalt, und nötigte sie in eine Position, die sie nur im Ehebett einzunehmen gewohnt waren. Noch 1974 bezeichnete die Psychoanalytikerin Luce Irigaray (*1930 in Blaton/Belgien) das Spekulum in ihrem "Speculum, De l'autre femme, Editions de Minuit" als Symbol für männliche Herrschaft. Selbst in Medizinerkreisen war noch Mitte des 19. Jahrhunderts der Einsatz der Spekula höchst umstritten. Insbesondere die englischen Kollegen scheuten die "Penetrierung der Frau". In Deutschland wurde die Methode zwar im Prinzip begrüsst, aber zuweilen als eher überflüssig abgetan:

"Die Inspektion mit dem Spekulum ist, wenigstens soweit nur das Röhrenspekulum zur Verwendung kommt, für den geübten Explorator häufig fast überflüssig. Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, daß derselbe mit dem tastenden Finger über Beschaffenheit der Portio, des äußeren Muttermundes, der Schleimhaut daselbst, der Scheidenoberfläche sich besser informiert. Der weniger Geübte kann jedoch die vaginale Inspektion nicht entbehren" (Otto Küstner, Lehrbuch der Gynäkologie 1910).

 

Vorgestellt wird ein Speculum nach RECAMIER aus Buchsbaumholz, wie es auch im Musée de la Médecine in Brüssel ausgestellt ist, mit einem in eine Bohrung des Tubus eingeschraubten Griff aus Ebenholz (bei dem vorliegenden Exemplar abgebrochen, Schraubenrest im Gewinde erhalten). Eine eingravierte "2" belegt, dass es auch andere Durchmesser dieses Spekulums gab ... Laurie Slater "Phisick" stellt ein ähnliches Spekulum vor mit kleinem Buchsbaumgriff und datiert es "J. SEILER 1883".


Erworben 11/2009, Herkunft Saint Denis d'Orques / Sarthe.