Geburtshilfe


Phantom

Hebammen-Lehrpuppe, um 1950 

 

 

Phantome werden seit dem 18. Jahrhundert zu Lehrzwecken eingesetzt.

 

Erstmals in einem Lehrbuch des Schweden Johann van HORN finden wir die Beschreibung eines Lehrgerätes, das aus zwei Elementen bestand: einem weiblichen Becken (die meisten Konstrukteure des frühen 18. Jh. benutzten natürliche weibliche Becken von Leichen) und einer mit Baumwolle und Haar ausgestopften Puppe. HORN scheint das Modell ab 1705 benutzt zu haben. 1739 bildete MANNINGHAM in London seine Schüler an einer ähnlichen "machine" aus. Ebenfalls kurz vor 1740 sah der Engländer SMELLIE in Paris ein Mannequin eines gew. Grégoire, das aus Weidenzweigen geflochten war, und SMELLIE nicht überzeugte. Nach seiner Rückkehr nach England konstruierte er 3 grosse "machines" mit 6 passenden Puppen, die alle bis dahin entwickelten Phantome in den Schatten stellten. Neben natürlichen Knochen (das weibliche Becken war schwer mit Kunstmaterialien nachzubilden) verwandte er Leder bei der Nachbildung der Bänder, Muskeln und der Haut. Neu an SMELLIE's Modellen war die Beweglichkeit der Gebärmutter, deren "Mund" sich öffnen konnte, sowie die Möglichkeit, mit Wasser eine volle Fruchtblase nachzuahmen. Die Kinderpuppen waren aus Holz, wobei die Gesichter fein skulptiert und der Unterkiefer beweglich waren. 1752 veröffentlichte G.F. MOHR in "Die Gebährende Frau" eine Abbildung eines deutlich primitiveren Modelles, das nur den Vorteil besass, dass es in Serie produziert und preiswert für 6 florin an Hebammen und Entbinder verkauft werden konnte.


Die italienische Didaktik, in welcher die Lehre am Leichnam eine grosse Rolle spielte, entwickelte die Idee weiter. Auf Dauer nämlich stiessen die Dissektionen von weiblichen Leichen die Beteiligten ab, zudem waren die Leichen schwer zu besorgen und entsprechend teuer. Zwischen 1750 und 1753 entwickelte GALLI gläserne Modelle, deren Produktion nicht teuer war, und deren Durchsichtigkeit genauere Einblicke zuliess. Die Modelle wurden bis nach Flandern exportiert. Die ansehnliche Sammlung GALLI's an Modellen und Puppen wurde später von der Universität Bologne erworben (Wissenschaftliches Institut). PICCOLI, ein "démonstrateur", der von 1765-67 eine Hebammenschule in Verona leitete, empfahl den Gebrauch von wächsernen Puppe, auch spätere Lehrer machten ausgiebig Gebrauch von "macchine artificial i modelli" (Gélis, S. 179).


In Frankreich entwickelte LEVRET 1750 ein Modell, die Académie des Sciences die Konstruktion verschiedener Modelle (insbesondere ein Herr Morand), 1759 half er die Puppe von Frl. DESGENETTES zu brevetieren (Gélis S. 528). In rascher Folge wurden immer bessere Puppen vorgestellt, die von Melle BIHERON 1750, Melle DuBoursier-Du COUDRAY 1759, BAUDELOQUE 1780, LEVASSEUR 1798. Frau Du COUDRAY führte ihre "machine" landesweit in die Lehre ein: ein lebensgrosses Modell, das bei der Serienfabrikation dieser Mannequins als Vorlage benutzt wurde, ist erhalten und wird im "Musée Flaubert d'histoire de la médecine" in Rouen aufbewahrt. Die Modelle wurden in Paris von Puppen- und Automatenherstellern fabriziert und zerlegt in die Landesprovinzen versandt. Das knöcherne Becken bestand aus menschlichen Skeletteilen, deren Herkunft manchmal zweifelhaft erschien, möglicherweise wurden die Knochen gelegentlich auf Friedhöfen ausgegraben.
Das geburtshilfliche Phantom reizte alle "Tüftler": 1820 führte AMELINE ein Modell aus "papier-mâché" vor, VERDIER entwickelte ein Modell mit elastischer Vulva, deren Kupferwicklungen sich dehnen liessen um einen Foeten passieren zu lassen, 1830 gipfelte die Aera der Phantome mit einer mechanischen Puppe von OZENNE, bei der der Foet in einer kontraktilen Tasche lag und naturgetreu ausgestossen wurde.

 

1877 wurde für die staatliche Entbindungsanstalt Luxemburg "un mannequin avec foetus & placenta" bei der Fa. Clasen in Brüssel gekauft. 

 

Exponat

Seit 1890 ist "Das geburtshilfliche Phantom" nach Prof. Bernhard Sigmund Schultze-Jena (1827-1919) weltweit Bestandteil der Aus- und Weiterbildung in der Geburtshilfe. Rest eines solchen Phantoms ist die hier vorgestellte Puppe. Sie wurde um 1950 in der Universitätsfrauenklinik Köln benutzt (Prof. Dr. Rudolf KAISER).