Ophtalmologie


Brille (6) Bifokale Schläfenbügelbrille

um 1900 

 

 

   Die Legende berichtet, wie der amerikanische Erfinder und Politiker Benjamin Franklin (1706-1790) eines Tages genug davon hatte, beständig zum Lesen seiner Post die Fernbrille absetzen zu müssen um sie gegen eine Nahsichtbrille auszutauschen. Dabei sei ihm der Gedanke gekommen, beide Brillen zu kombinieren: von der Fernsichtbrille nahm er die obere Hälfte des Glases, von der Nahsichtbrille die untere, er kittete die beiden Glashälften aneinander und fügte sie in ein gemeinsames Brillengestell - und fertig war die erste Brille mit 2 verschiedenen Sehstärken, die bifokale Brille war geboren. So geschehen 1784.

 

Diese Version ist eine fromme Mär. Franklin schreibt selber in zwei Briefen (21.8.1784 und 23.5.1785), dass ein gewisser Peter Dollond in London "gespaltene" Brillen herstelle und verkaufe - dieser Peter Dollond (1731-1820) war der Sohn von John Dollond (1706-1761) und Nachfahre einer aus Frankreich zugewanderten hugenottischen Familie d'Holland. Peter war ab 1750 in London als Brillenfabrikant tätig ...

Franklin ist also nicht wirklich der Erfinder. Dennoch sorgte er für die Verbreitung dieser Brillengläser, indem er sie ohne Scheu, ohne Rücksicht auf das "qu'en dira-t-on" in aller Öffentlichkeit trug.

 

Exponat

Wir stellen hier eine Weiterentwicklung dieser "Franklin-brille" vor: die Gläser bestehen aus einem einzigen Glas, mit zwei halbmondförmigen Anschliffen: beide Sehzonen sind deutlich sichtbar voneinander getrennt - die feine Linie ist bei näherem Hinkucken deutlich sichtbar. Diese Art des doppelten Schliffes geht auf den Londoner Optiker John Isaac Hawkins (1772–1854) zurück, der 1827 die trifokalen Gläser erfand (und patentieren liess) und im Nachhinein die Franklin'sche Brille "bifokal" nannte ...

Das Brillengestell entspricht dem sog. "Windsor-typ" (1880 erfunden) mit seiner runden Fassung "à la Harry Potter". Die Bügel sind nicht gekrümmt, es handelt sich also nicht um eine Ohren-, sondern um eine Temporalbrille, bei der die beiden Bügel gegen die Schläfen anpressen. Man beachte die Oesen am Ende der Bügel: durch sie wurde ein Bändchen geführt, das verhinderte, dass die Brille zu Boden fiel.

 

Menschen wie Mahatma Gandhi, Franklin Roosevelt und John Lennon trugen Windsor-Brillen. Heute gelten sie als "retro" bzw. unmodern. Auch die Gläser mit Doppelschliff sind "out", seit der Ingenieur Bernard Maitenaz 1958 die Gleitsichtgläser erfunden hat, bei denen man die Linie zwischen den beiden Schliffen nicht mehr sieht.