Chirurgie


Anatomisches Modell (4) Aufklappbild, um 1910

frz. "planches anatomiques à découpis mobiles en superposition 

Die zweidimensionale Darstellung der menschlichen Anatomie blieb unbefriedigend. Diesem Umstand versuchten die "Schicht-Klappbilder" des 16. Jahrhunderts Abhilfe zu leisten.
Aus einfachen "vorher-nachher"-Bildern des frühen 16. Jahrhunderts, auf denen die Vergänglichkeit menschlichen Strebens krass anschaulich dargestellt wurde, entwickelten findige Verleger das Genre des anatomischen Schichtbildes. In pseudo-dreidimensionaler Weise gaben sie in verschiedenen, klein gedruckten Blättern die unterschiedlichen Stadien des Situs wieder, wie sie sich nacheinander für den präparierenden Anatomen darboten, und konnten dabei nach der Art eines "Daumen-Kinos" aufgeklappt werden. Vermutlich reagierten die Verleger damit auf die Entwicklung der Anatomie an Universitäten, die dazu übergegangen waren, Obduktionen an Menschen vorzunehmen.

Die anatomischen Klappbilder waren äußerst erfolgreich. Da sie auf losem Papier gedruckt waren, erging es ihnen wie vielen frühen Skelettfiguren oder Aderlasstafeln: sie wurden verschlissen und landeten über kurz oder lang im Papierkorb. Entsprechend ist die Zahl der erhalten gebliebenen Exemplare sehr gering. Die Lage besserte sich, als das Klappverfahren in Büchern beigebunden wurden. Klappbilder, bewegl. Bilder in Büchern, kamen wohl zuerst in anatomischen Werken vor. So wurde das Verfahren in dem anatomischen Lehrbuch "Ophthalmologeia, Das ist Augendienst" von Georg Bartisch (Dresden 1583) übernommen: aus der Scheitelperspektive konnte der Leser die übereinandermontierten Holzschnitte von Haarboden, Schädeldecke und Schichten des Gehirns bis zu den Augäpfeln abheben.

Einem breiten Publikum wurden die Klappbilder erst in der Belle Epoque zugängig, mit den volksheilkundlichen Büchern von Friedrich Eduard Bilz (1842-1922) "Das neue Naturheilverfahren" von 1888 und der "Die neue Heilmethode" seines Schülers Moritz Platen, derr Lehrer und Leiter der Bilz‘schen Heilanstalt in Dresden-Radebeul war sowie Direktor der Naturheilanstalt Bad Ottenstein zu Schwarzenberg in Sachsen. Der ersten zweibändigen Auflage war eine einzige Faltfigur des menschlichen Körpers beigebunden, späte Ausgaben des nun 4bändigen Werkes enthielten 10 Modelle, darunter 1 Modell des männlichen Körpers in 8 zum Teil gefalteten und klappbaren Tafeln, 1 Modell des weiblichen Körpers ebenfalls in 8 zum Teil gefalteten und klappbaren Tafeln, (dieses auch mit Darstellung der Schwangerschaft), sowie 8 klappbare farbige anatomische Modelle von Nase, Ohr, Mundhöhle und Kehlkopf, Herz, Auge, Magen, Lunge und Kopf in Buntdruck (Chromolithographie).

Bereits die erste Veröffentlichung von Bilz "Das menschliche Lebensglück" von 1882 enthielt einen naturheilkundlichen Anhang. Später gab Bilz nur noch naturkundliche Bücher heraus. Die Bücher von Bilz mit ihren ausklappbaren Tafeln erzielten traumhafte Auflagen - bis 1938 waren ca. 3,5 Millionen Exemplare verkauft. Letzte (abgespeckte) Auflage 1956 !

Die vierbändige Prachtausgabe von 1910 erreichte einen Umfang von mehr als 4.000 Seiten und war mit 1.400 Textabbildungen, 58 Farbtafeln und 16 zerlegbaren Modellen reich illustriert.

Das Werk wurde in 12 Sprachen übersetzt - das hier gezeigte Klappbild wurde aus den USA importiert, dürfte also einer amerikanischen Bilz-Ausgabe entnommen sein. Man sieht die drei zu einem Triangel zusammengefalteten Hauptlagen. Jede dieser Lagen weist mehr oder weniger üppige weitere Klappmöglichkeiten auf. Am detailreichsten ist das Eingeweideblatt, wo uns die Figur bereitwillig ihren schwangeren Uterus zeigt ... eine unblutige Obduktion für den Hausgebrauch !

Ähnliche Schichtbilder finden sich einem von einer Ärztin herausgegebenen volkstümlichen Gesundheitsbuch: Dr. med Anna Fischer-Dückelmann, Die Frau als Hausärztin, ein Buch, das von 1901 bis 1979 in unzähligen Ausgaben (und Raubdrucken) erschien.